Trude Teige entdeckt Demmin

Die Frage, die ich mir schon seit Beginn meiner Reise gestellt habe war, wie Trude überhaupt auf Demmin und seine Geschichte gestossen ist.

 

Wie ist das Demmin Buch entstanden? Gab es Thekla und Juni wirklich? War Trude überhaupt schon mal in Demmin? 

 

Ich hatte in den letzten Jahren nun mehrfach die Gelegenheit die Autorin selbst dahingehend auszufragen und hoffe, dass euch dieser Hintergrund genau so interessiert wie mich.

 

Doch wir sollten ein wenig weiter ausholen, denn auf Demmin war Trude mehr oder weniger durch Zufall gestoßen, beinahe wie ich auf ihr Buch. 3 Menschen hatten dabei Einfluss auf sie, Ragnar Ulstein, Anna Deichmann und Antony Beevor.

 

Ragnar Ulstein
Ragnar Ulstein

 

 

Ragnar Ulstein

 

Eine wichtige Begegnung für sie war die mit Ragnar Ulstein, einem  norwegischen Journalisten und ehemaligen Widerstandskämpfer, der selbst mehrere Kriegsbücher verfasst hatte. Durch ihn und seine Empfehlung doch über die "Tyskerjentene" zu schreiben, kam sie auf ein Thema welches sie in zwei ihrer folgenden Bücher einbinden sollte. "Tyskerjentene"- auf deutsch "Deutschenhuren" - waren die norwegischen Frauen, die zu Kriegszeiten in Norwegen ihre Staatsbürgerschaft verloren und von der Gesellschaft ausgestoßen wurden, weil sie sich in einen deutschen Soldaten verliebt hatten. 

 


Einer ihrer großen Recherchequellen war das Archiv Ragnars im Heimatmuseum der Festung Akershus  in Oslo und die darin befindlichen Aufnahmen. Ragnar hatte nämlich nach Kriegsende Interviews mit norwegischen Deutschenhuren und ihren Männern in Deutschland geführt, die bis dahin nie Interesse gefunden oder ausgewertet worden waren. Sie wurden in den 1970er-Jahren hergestellt, aber nie veröffentlicht. 

 

Trude recherchierte also unentwegt zum Thema "Tyskerjentene" und war von der Geschichte dieser Frauen so angetan, dass sie 2012 ihren ersten Roman zu diesem Thema veröffentlichen sollte: den  Krimi „Svik“. Dieser Roman "Svik" ist auch einer der 3 Krimis von Trude, die iAufbau Verlag  in Deutschland unter dem Titel "Totensommer" erschienen ist. 

 

Einige ihrer Bücher wurden also bereits übersetzt und verlegt, dies sind jedoch alle Krimis, und keine Familiengeschichten, wie der Demmin Roman.

 

Anna Deichmann 

 

Durch ein Radiointerview nach der Veröffentlichung ihres Buches  "Svik" wurde dann 2012  die damals 89 jährige Anna Deichmann auf Trude und ihr Interesse an den "Tyskerjentene" aufmerksam. Sie trat mit Trude in Kontakt und bat sie um ein Treffen in Nordfjordeid, dem Ort in Sogn og Fjordane in dem sie lebte. Sie wollte Trude über ihre eigene Geschichte erzählen, die eng mit diesem Thema verbunden sein sollte. Trude nahm diese Einladung an und traf sich mit Anna; die Anna, die später noch eine entscheidende Rolle im Demmin Roman spielen sollte.

 

Anna Deichmann stammte ursprünglich aus Vadsø (Finnmark), zog aber nach Süden und wurde als Kellnerin für deutsche Offiziere bei einem Regiment in Storsteinnes im Balsfjord in Troms eingesetzt. Dort traf sie 1943 Alfred, kurz Fred, einen deutschen Soldaten und die beiden verliebten sich. Als dann 1945 der Frieden kam, heirateten sie und Anna ging mit ihm nach Deutschland.

 

Hört sich alles nach einer ganz normalen Liebesgeschichte an. Jedoch steckt viel mehr dahinter.

Die Blücher, wie sie im Drøbaksundet versank
Die Blücher, wie sie im Drøbaksundet versank

 

Die Blücher

 

In der Wohnung in Nordfjordeid hing das Brautbild der beiden an der Wand, und Anna hatte viele Fotoalben mit Bildern aus dem Leben der beiden. Sie war eine gute Geschichtenerzählerin, sie sprach einen breiten Vadsø-Dialekt, obwohl sie fast siebzig Jahre in Hannover gelebt hatte. Nach einer Weile stand sie auf und verschwand im Schlafzimmer.

Als sie zurückkam, hielt sie ein Modellschiff in ihren Händen.

 

"Sehen Sie, was das ist?", fragte sie. 

"Nun" antwortete Trude, "ein Kriegsschiff? "

"Es ist die Blücher", sagte sie und legte ihren Zeigefinger in die Mitte des Schiffes. "Und hier, das ist Fred."

 

Alfred Deichmann kam mit der Blücher nach Norwegen, dem Schiff dass im Drøbaksundet beschossen wurde und dort versank. Es gelang ihm, mit letzten Kräften an Land zu schwimmen.

 

Anna sprach aufrichtig über ihren Mann: "Ich konnte keinen besseren Mann finden, egal wohin ich reisen würde, er war der, mit dem ich zusammen sein wollte."

 

 

Alfred starb in den 70er Jahren in Deutschland, und einige Jahre bevor ich Anna kennenlernte, hatte ihre Tochter einen Norweger geheiratet und war nach Nordfjordeid gezogen.

Anna blieb allein in Deutschland und beschloss, nach Norwegen zurückzukehren. Denn Norwegen war noch ihr zu Hause. Sie hatte sich immer als Norwegerin betrachtet, obwohl die norwegische Regierung 1945 eine Regelung eingeführt hatte, die dazu führte, dass alle norwegischen Frauen , die wie Anna, deutsche Soldaten geheiratet hatte, ihre norwegische Staatsbürgerschaft verloren. Als Anna Alfred heiratete, war somit ihr norwegischer Reisepass ungültig und sie musste viele Jahre beim Außenministerium eine Einreisegenehmigung beantragen, wenn sie nach Norwegen nach Hause  zu ihrer Tochter reisen wollte. Nicht immer wurde ihr diese Genehmigung gegeben.

 

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Ein Auszug aus einem Moment dieses Gesprächs, der Trude sehr geprägt hat:

 

Mit Akribie erzählte die alte Dame, und eine der wenigen  überlebenden "Tyskerjenter" über ihre Vergangenheit in Norwegen und Deutschland, zeigte Trude Fotos von ihrem deutschen Ehemann Alfred. Sie berichtete davon wie sie mit Alfred aus Norwegen zwangsausgewiesen wurde und in ein völlig zerstörtes und zerbombtes Deutschland kam. Anna war dann nach fast 70 Jahren in Deutschland nach Norwegen zurückgezogen.

 

Anna schämte sich nicht, weil sie einen deutschen Soldaten geheiratet hatte, denn er war der Mann, den sie liebte, und als sie über ihn sprach, konnte Trude die 19-jährige Anna in ihr sehen. Anna erklärte Trude, dass Alfred mit der "Blücher" nach Norwegen gekommen sei. "Was für ein Glück für mich, dass er überlebt hat", sagte sie und sah Trude mit einem Lächeln an.

Aber es war nicht nur ein Lächeln in ihren Augen, als sie Trude den norwegischen Pass zeigte, den sie erst kürzlich wiedererlangt hatte. Erst dann sah Trude die überwältigende Trauer, Ohnmacht - und auch ein wenig Bitterkeit. "Ich bin jetzt gut genug", sagte sie, bevor sie Trude im nächsten Moment fragte: "Was bedeutet das Wort "Tyskerjente"? Heißt das wirklich Hure? «

 

Trude nickte. "Aber ich bin keine Hure", sagte sie mit fester Stimme. 

 

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Diese Erlebnisse und Schilderungen Annas sollte Trude später in abgewandelter Form fiktiv in ihrem Roman „Mormor danset i regnet“ verarbeiten, andere Geschichten stammen aus Ragnars Interviews  und den vielen Büchern, die sie zum Thema gelesen hatte.

 

Es war Trude später auch deshalb ein umso größeres Herzensanliegen, einige Episoden aus Annas Leben in ihrem Buch zu verwenden, da Anna 3 Monate nach ihrem Treffen verstarb.

 

Diese Anna wurde also Trudes Inspiration für den Roman "Mormor danset i regnet" und auch wenn die Figuren im Buch keinesfalls identisch, sondern nur angelehnt an Annas Leben leben sind, so wäre der Demmin Roman ohne Anna wohl nie entstanden. 

 

 

Antony Beevor
Antony Beevor

Antony Beevor

 

Um ihre Kenntnisse auszuweiten las Trude natürlich auch verschiedenste Bücher : zur Geschichte vor und nach 1945 in Norwegen und in Deutschland. Dabei war sie speziell interessiert an Berlin. Sie durchstöberte Archive und das Internet nach allen möglichen Artikeln. Sie versuchte Videomaterial und Bilder zu finden, um sich einen Eindruck zu schaffen der über ihre eigene Fantasie hinausreichte. Unter diesen Büchern war auch eines von Anthony Beevor, einem berühmten englischen Militärhistorikers, der sich insbesondere mit den Vergewaltigungen deutscher Frauen durch russische Soldaten befasste. Das schiere Ausmass dieser Vergewaltigungen zum Ende des 2.Weltkrieges ließ Trude aufhören, denn sie begriff plötlich, dass Anna damals nicht nur in ein Land kam , das äußerlich zerstört war, sondern in dem die meisten überlebenden Frauen genau diesen Taten der Alliierten ausgesetzt waren oder diese täglich zu befürchten hatten. Gewalt gegen Frauen, Vergewaltigungen und Folterungen waren in diesen Zeiten in Deutschland an der Tagesordnung. Eine Geschichte, die sie unauslöschlich beeindruckte, handelte von einer Norwegerin, die in den letzten Wochen vor der Kapitulation in die russische Zone kam, als die sowjetische Armee nach Westen zog. Trude wollte mehr über diese Zeit erfahren.

 

Als sie sich dann 2013 mehr und mehr mit der sowjetischen Zone befasste, und mit eben diesen Massenvergewaltigungen durch russische Soldaten kam sie über die verschiedenste Umwege und Klicks von englischen Webseiten auf die sogenannte "Tragödie Demmins". Noch nie zuvor hatte sie von Demmin, geschweige denn seiner "Tragödie" gehört. Es verwunderte sie daher umso mehr, davon auch kaum etwas in den Büchern oder auf den deutschen Webseiten zu finden. Durch ein Youtube Video einer Zeitzeugin und ein wenig mehr Internetrecherche beschloss sie, dem Thema, das für sie eine bewusst verschwiegene Kriegstragödie zu sein schien, näher auf den Grund zu gehen.

 

Sie rief deutsche Freunde an, sogar Freunde die aus der Region Demmin stammten und fragte diese was diese von dieser Zeit wussten, Demmin.

 

Nichts.

 

Niemand wusste vom grössten Massenselbstmord Deutschlands, wenn nicht sogar Europas, der sich innerhalb weniger Tage im Mai 1945 hier in Demmin zugetragen hatte.

 

 

Daraufhin flog sie kurzentschlossen nach Berlin, nahm den Zug nach Demmin und ließ sich vor Ort inspirieren. Sie lief entlang den Demminer Straßen, besuchte die verschiedensten Orte, wie das Massengrab, ging entlang der langen Wege des Friedhofes die zum Massengrab führten und besuchte das damals noch existierende Museum. Sie sprach mit Demminern, mit Zeitzeugen und brachte viele Bilder von ihrer Reise mit sich.

Ihr war klar, dass dieser kleine Ort im Nordosten Deutschlands, von dem sie zuvor noch nie gehört hatte, genau der Schauplatz für ihren nächsten Roman werden sollte. Viel zu viele Geschichten liegen hier verborgen, und die Menschen in Norwegen sollten von Demmin und seiner Geschichte erfahren.

 

In Trudes eigenen Worten

 

"Die Geschichte von dem, was dort passiert ist, ist so brutal und beängstigend, dass es unmöglich zu verstehen ist, dass diese Geschehnisse nicht allgemein bekannt sind. Ich habe einige deutsche Bekannte kontaktiert, darunter eine Frau, die in der Nähe von Demmin aufgewachsen ist, und gefragt, ob sie die Geschichte kennen. Keiner von ihnen hatte von dem gehört, was kurz vor der Kapitulation der Deutschen geschah. Die Erklärung dafür war, dass diese  Historie von der DDR-Regierung tabuisiert wurden. Das Leben musste nach dem Krieg unter einem neuen Regime weitergehen - einem kommunistischen Staat, der auf dem siegreichen politischen System der Sowjetunion basierte- und vieles, was tatsächlich geschah, als die Russen nach Demmin kamen, war jahrzehntelang verdrängt worden. Erst als die Mauer fiel, gab es einige Zeugen, die die Stille brachen."

 

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Trudes Roman "Mormor danset i regnet", oder auf deutsch "Oma, die im Regen tanzte",erschien in Norwegen 2016 im Aschehoug Verlag. Bis heute wurden mehr als 20.000 Exemplare veröffentlicht. 

 

Das Buch wurde ein Bestseller in Norwegen und berührte die Leser sehr. Es war sogar für den norwegischen Buchhandelspreis nominiert.

 

Trude und ich hoffen daher inständig, dass dieser Roman auch allen Demminern und interessierten deutschsprachigen Lesern zugänglich gemacht werden kann! Wir haben alle gesehen wie gross das Interesse an Martin Farkas Dokumentation im letzten Jahr war. Die Menschen sind zu hunderten in die Kinos geströmt, da dieses Thema noch immer sehr viele Menschen bewegt.

 

Ein Buch wie dieses kann genau dazu beitragen, eben diese Zeit nicht zu vergessen und erleichtert gleichzeitig den Zugang zu dieser Geschichte.

 

Wir beide würden uns daher enorm freuen, wenn ihr alle, die das hier lest uns dabei helft diese Geschichte zu teilen, damit sie vor die richtigen Augen gelangt, die uns helfen können das Buch in Deutschland zu verlegen

 

Balestrand im Sep 2019.

 

Update März 2021: Das Buch wurde vom S.Fischer Verlag in Deutschland übernommen und sollte bald übersetzt in allen Buchhandlungen in Deutschland zu finden sein.

 

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Orginaltexte und Quellen:

 

https://www.aschehoug.no/Ugla.no/Trude-Teige-En-tyskerjentes-arv

https://trudeteige.no/historiske-romaner/


 

Mehr über, wie es war Trude das erste Mal in Bergen zu treffen, oder wie ich über dieses Buch gestolpert bin findet ihr hier.

 

Eine Inhaltsangabe  und mehr über die Autorin findet ihr hier


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